Unberechtigte Kritik an der Flüchtlings­konvention

Steht die Uno-Konvention auf einem «falschen Fundament», wie in einem NZZ-Gastkommentar behauptet wird? Eine Replik. Gastkommentar von Eduard Gnesa und Alberto Achermann

In seinem Gastkommentar «Asylpolitik auf einem veralteten Fundament» (NZZ 11. 1. 22) fordert Toni Stadler eine Revision der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK). Der Beitrag enthält zahlreiche Ungereimtheiten, und die Vorschläge des Autors haben sich mehrheitlich bereits als untauglich erwiesen. Leider nicht berücksichtigt hat er den jüngsten Bericht des Bundesrates zur Bedeutung der Flüchtlingskonvention. Die Aussage, die GFK garantiere ein Recht auf ein Asylverfahren in jedem Unterzeichnerstaat, ist falsch, da die Konvention weder das Verfahren regelt noch ein Recht auf Asyl einräumt. Die meisten Rechte der GFK gelten darüber hinaus nur, wenn ein Staat nach Feststellung der Flüchtlingseigenschaft einer Person auch tatsächlich Asyl gewährt.

Absurd ist die Behauptung, Art. 31 der GFK (Straflosigkeit des irregulären Grenzübertritts) habe eine «Anziehungskraft auf Armutsmigranten». Die Bestimmung schützt eben gerade nur Flüchtlinge im Sinne der GFK und nicht «Armutsmigranten». Ein Blick auf die Situation in Staaten, welche die Konvention nicht unterzeichnet haben, hätte gezeigt, dass auch dort Arbeitssuchende illegal Grenzen überschreiten. Was es hingegen für Flüchtlinge bedeutet, in einem Staat Zuflucht suchen zu müssen, der die GFK nicht ratifiziert hat, zeigt das Schicksal der Rohingya aus Myanmar, die in Bangladesh praktisch rechtlos sind und jederzeit befürchten müssen, als Illegale strafrechtlich mit Sanktionen belegt zu werden.

Die Errungenschaft der GFK war es, einen universell gültigen Flüchtlingsbegriff verankert und den anerkannten Flüchtlingen gewisse Rechte eingeräumt zu haben, wobei dem Verbot der Rückschiebung in den Verfolgerstaat (Non-Refoulement-Prinzip) überragende Bedeutung zukommt. Die Konvention bezweckt also den Schutz der Individuen. Als ebenso wichtig erweist sich das UNHCR-Statut. Es enthält die Grundprinzipien für die Lösung von Flüchtlingsproblemen (Unterstützung, Schutz, Förderung der freiwilligen Rückkehr, lokale Integration in der Region oder Resettlement). Die heute geltenden Standards lassen sich dem Globalen Pakt für Flüchtlinge der Uno entnehmen – 2018 von der Staatengemeinschaft praktisch einstimmig verabschiedet.

Auch uns ist bewusst, dass es besserer Ansätze im Umgang mit den weltweiten Flüchtlingsproblemen bedarf. Die von Stadler skizzierten Lösungswege – die kaum etwas mit der GFK zu tun haben – lassen einen Blick auf die gegenwärtigen Diskussionen vermissen beziehungsweise gehen an den Realitäten vorbei: Einer der Vorschläge Stadlers zielt auf die Pflichten der Herkunftsländer, unter anderem sollen sie bei der Rückübernahme von abgewiesenen Asylbewerbern kooperieren. Das ist bereits anerkanntes Völkergewohnheitsrecht und wurde im Uno-Migrationspakt von 2018 ausdrücklich statuiert, den 154 Staaten – leider vorerst ohne die Schweiz – angenommen haben. Bei den vorgeschlagenen Pflichten der Staaten hat Stadler recht, wenn er diese dazu auffordert, Flüchtlinge und Asylbewerber in der jeweiligen Region zu schützen. Die grossen Fluchtbewegungen 2015/2016 sind darauf zurückzuführen, dass die Staatengemeinschaft die internationalen Organisationen finanziell zu wenig unterstützte, damit die syrischen Flüchtlinge in der Region hätten bleiben können.

Die Forderung nach dem Botschaftsasyl ist nicht neu, die Umsetzung hat sich nie bewährt, weder in der Praxis der EU-Staaten noch jener der Schweiz. Die Verfahren von Tausenden Asylsuchenden können Botschaften oder UNHCR-Auffangeinrichtungen nur schon administrativ nicht bewältigen. Hinzu kommt, dass Drittstaaten (zum Beispiel Tunesien, Ägypten) es ablehnen, Asylverfahren bei sich durchzuführen, weil sie befürchten, dass dies zu einem Pull-Effekt führt und sie schliesslich im Verfahren abgelehnte Asylbewerber wegen fehlender Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsstaaten selbst aufnehmen müssten.

Nicht erwähnt wird, dass die Uno-Instrumente (Flüchtlings- und Migrationspakt von 2018) Rechte und Pflichten von Migrierenden und von Staaten enthalten, wobei es aber oft am politischen Willen zur Umsetzung fehlen dürfte. Angebracht wäre ein pragmatischer Ansatz, wie ihn die Schweiz gewählt hat: Mit ihren Migrationspartnerschaften und -abkommen mit Herkunftsländern von Asylsuchenden hat sie Lösungen im beidseitigen Interesse gefunden (Hilfe und Schutz vor Ort, Prävention irregulärer Migration, Rückkehr und Reintegration sowie Entwicklung). Dies hat zu weniger unbegründeten Asylgesuchen geführt, gleichzeitig zu einer verstärkten bilateralen Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten. Bundesrat und Parlament haben diesen Ansatz 2020 im Rahmen der strategischen Verknüpfung von Migration und internationaler Zusammenarbeit gutgeheissen und beschlossen, die Kooperation bezüglich wirtschafts-, entwicklungs- und gesundheitspolitischer Themen im Zusammenhang mit einer kohärenten Migrationspolitik auszubauen. Damit wird die irreguläre Migration verringert. Reine Abwehrstrategien werden nicht mehr genügen.


Eduard Gnesa war Botschafter für internationale Migration. Alberto Achermann ist Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern.